Auf einen Chocolate mit: Theodor Rüber (Teil 2)

In den kommenden Monaten trifft sich unser Blog-Team mit verschiedenen Mitgliedern von CASA HOGAR. Ehrenamtler:innen und Hauptamtler:innen, Gründungsmitgliedern und „Neulingen“. 

Bei einer leckeren Tasse kolumbianischen Chocolate sprechen wir mit Ihnen über Erfolge und Niederlagen, über Zukunftspläne und Wünsche und darüber, was ein Projekt wie CASA HOGAR alles bewegen kann.

Den Anfang hat gleich unser Gründer und Erster Vorstand Theodor Rüber gemacht. Nach fast sieben Jahren wirft er einen Blick zurück auf die Anfänge von CASA HOGAR und gibt gleichzeitig einen Ausblick auf die Zukunft. Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews!

 

Blog: Was bedeutet für dich erfolgreiche Entwicklungsarbeit?

Theodor: Ich weiß, dass Entwicklung nie geradlinig verläuft. Das Wichtigste ist, dass die Trendlinie am Ende nach oben zeigt. Aber das braucht Zeit. Martin Luther King hat mal gesagt: „The arc of the moral universe is long, but it tends towards justice!“ Barack Obama hat diesen Satz gerne zitiert und dann immer hinzugefügt: „Here is the thing: It doesn’t bend on its own!“. Das ist sehr wahr, glaube ich. Deswegen versuchen wir, den „Bogen des moralischen Universums“ ein wenig mitzubiegen. Wie erfolgreich unsere Arbeit aber ist, wird sich erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten zeigen. 

Blog: Wo Höhen sind, sind natürlich auch Tiefen. Was war die größte Herausforderung, vor die du bisher gestellt wurdest?

Theodor:  Es gibt viele Dinge, die schwierig sind, alle auf unterschiedliche Arten. Dazu gehören der Umgang mit den bedrückenden Lebensgeschichten und Schicksalen im Chocó. Das ist emotional herausfordernd. Eine große intellektuelle Anstrengung ist es, sich ständig zu überlegen, was Entwicklung heißt und wie man sie vorantreibt und die Stereotypen, mit denen man vielleicht aufgewachsen ist, zu reflektieren. Und für mich als jemanden, der immer am liebsten alle Ergebnisse sofort erreicht, ist die Langsamkeit von Entwicklungszusammenarbeit eine Herausforderung. In einem ziemlich demokratischen Verein wie CASA HOGAR wird viel diskutiert, was toll und sinnvoll und bereichernd ist, aber manchmal eben auch eine Herausforderung. Und dann gibt es ja auch noch PartnerInnen, mit denen man zusammenarbeitet, die natürlich auch ihren eigenen Kopf haben. Im Alltag kommt dann noch das Problem, dass es nur wenige HauptamtlerInnen gibt, die sich ganztags mit den Themen von CASA HOGAR beschäftigen. Alle anderen, inklusive ich, sind EhrenamtlerInnen, die einen Beruf, eine Familie, Freunde, kurzum: ein ganz normale Leben haben und die mit teils gigantischen Kraftanstrengungen versuchen, das Anliegen von CASA HOGAR in diesem schon übervollen Leben nach vorne zu bringen. 

Blog: Ist es manchmal schwierig für dich, alles unter einen Hut zu bringen? Denn neben CASA HOGAR hast du natürlich noch einen Vollzeitjob und ein Privatleben.

Theodor: Ja, definitiv. Vor allem, weil es inhaltlich nicht viel mit dem zu tun hat, was ich sonst so mache. Das macht aber natürlich gleichzeitig den Reiz aus! Ich werde oft gefragt: „Wieso kümmerst du dich gerade um indigene Mädchen aus einem gottverlassenen Urwaldgebiet in Kolumbien?“ Ich denke immer, man muss die Gegenfrage stellen: „Warum denn nicht?“ Wenn man sich um Menschen kümmert, mit denen man auf den ersten Blick so gar nichts gemein hat, dann können sich auch alle Menschen umeinander kümmern. Das ist eine schöne, utopische Vorstellung. Das entspricht ziemlich genau dem, was ich mit dem Ideal der „oneness“ oder „togetherness“, wie es im Englischen heißt, verbinde.

Blog: Soll CASA HOGAR in Zukunft noch weiter wachsen?

Theodor: Ja, auf jeden Fall. Der Leitgedanke hinter unserem Wachstum ist aber immer, möglichst viele Menschen weiterzubringen. Dafür brauchen wir nicht nur Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler, sondern auch Hauptamtlerinnen und Hauptamtler. Außerdem wollen wir CASA HOGAR wissenschaftlicher machen, um die Probleme vor Ort noch besser verstehen zu können. Deshalb haben wir durch die Uni Bonn zwei Doktoranden-Stellen ausgeschrieben, die als Tandem-Promotion mit Studierenden im Chocó zusammenarbeiten. 

Blog: Wie schafft Ihr es, die vielen Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler „bei der Stange“ zu halten. Gibt es ein Geheimrezept?

Theodor: Letztendlich ist CASA HOGAR ein Gemeinschaftsprojekt. Als Figur, die „vorne“ steht, kann man kann ja nur ziehen, man kann nicht drücken. Man kann nur versuchen, allen klarzumachen, was sie mit ihrer Arbeit hier im Chocó erreichen können. Das „Geheimnis“ ist, genau das zu vermitteln und zu hoffen, dass sich die intrinsischen Motivationen gegenseitig beflügeln. Alle haben eine eigene Rolle. Ich und die HauptamtlerInnen haben die Aufgabe mit Blick auf unser Team, möglichst gute Bedingungen dafür zu schaffen. Dazu gehört auch, dass wir bestimmte Werte im Umgang miteinander und mit den Spenderinnen und Spendern sehr hochhalten. Ehrlichkeit, Kommunikation und Transparenz zum Beispiel.

Blog: Wie hat dich CASA HOGAR persönlich verändert?

Theodor: Es ist eine einzigartige Erfahrung, dass man mit Lebensrealitäten verbunden sein kann, mit denen man sonst nichts zu tun hätte. Das ist sowohl unter dem Aspekt Vielfalt interessant, weil man halt nicht nur in seiner Blase sitzt, als auch unter der Thematik des eigenen Privilegs. Denn es ist einem häufig gar nicht klar, wie privilegiert man hier mit vielen Dingen ist. 

Blog: Wie sehen die nächsten sieben Jahre aus? 

Theodor: Im Team bleibt die Stimmung herzlich und engagiert. Wir gewinnen neue Leute hinzu, sodass wir noch mehr erreichen können. Und wir umschiffen die Klippen, die für alle Organisationen gefährlich sind, also Bequemlichkeit, Selbstreferentialität, Verkalkung. Und natürlich ist noch etwas wichtig, nämlich, dass wir tolle Konzerte machen!

Danach sieht es zumindest in diesem Jahr aus: CASA HOGAR veranstaltet am 27. August 2022 ein großes Benefizkonzert in der Kölner Philharmonie. Was gibt es dort zu hören?

Die Mädchen im Chocó haben das Glück, dass sie von großen Künstlerinnen und Künstlern unterstützt werden: Bodo Wartke, Alte Bekannte, aber auch Klassik-Stars wie die Mezzosopranistin Anna Lucia Richter oder unsere CASA-HOGAR-Kulturbotschafter:innen Magdalena Hoffmann und Ludger Vollmer. Außerdem gibt es Überraschungsgäste und Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler von CASA HOGAR, die dort auftreten, wie Jonas Dickopf mit seinem Chor fiat ars oder die Dokumentarfilmerin Angelika Huber.

Welche Bedeutung hat Musik für Dich, bzw. für CASA HOGAR?

Für mich war Musik immer sehr wichtig. Ich habe früh Klavier lernen dürfen, habe die kirchenmusikalische C-Ausbildung in Köln absolviert, ein wenig Orgel, Klavier und Chorleitung gelernt und seitdem ist Musik mein steter Begleiter. Ich habe diese romantische Vorstellung von Musik, wie sie uns als Menschen zusammenführen kann. Wahrscheinlich völlig kitschig. Lenin soll gesagt haben, er könne die Appassionata nicht hören, sonst könne er die Revolution nicht zu Ende führen. Historisch höchstwahrscheinlich völliger Unsinn, aber das holt mich irgendwo ab (lacht). In Kolumbien spielt Musik auch eine Rolle, aber eine ganz andere Musik: Salsa, Merengue, Bachata, Vallenato ist dort wichtig … 

Blog: Mit welchen Gefühlen blickst du jetzt auf CASA HOGAR?

Theodor: Ich bin dankbar, wenn ich sehe, wie viele Menschen bereit sind, den Mädchen im Chocó Zeit, Geld und Aufmerksamkeit zu schenken. Denn den Mammutanteil aller Spenden machen immer noch kleine Privatspender aus. Das ist mir auch total wichtig. Es sind Bekannte, Freunde oder Leute, die davon gehört haben und einfach helfen wollen. Das gleiche gilt für den unglaublichen Einsatz unsere Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler. In diesen Zeiten ist das für mich einfach ein ganz, ganz großes tröstliches Zeichen. 

Blog: Vielen Dank, Theodor!