Auf einen Chocolate mit: Theodor Rüber (Teil 1)

In den kommenden Monaten trifft sich unser Blog-Team mit verschiedenen Mitgliedern von CASA HOGAR. Ehrenamtler:innen und Hauptamtler:innen, Gründungsmitgliedern und „Neulingen“. 

Bei einer leckeren Tasse kolumbianischen Chocolate sprechen wir mit Ihnen über Erfolge und Niederlagen, über Zukunftspläne und Wünsche und darüber, was ein Projekt wie CASA HOGAR alles bewegen kann.

Blog-Team: Dein erster Besuch im Chocó liegt mittlerweile fast sieben Jahre zurück. Was denkst du, wenn du jetzt darauf zurückblickst?

Theodor: Das war definitiv eine prägende Zeit für mich. Ich war kurz vor meiner ersten Reise nach Kolumbien für meine medizinische Doktorarbeit in Boston und habe dort sehr viele privilegierte Menschen kennengelernt. Danach habe ich das Bedürfnis entwickelt, „auch mal die andere Seite der Welt zu sehen“, was im Nachhinein gesehen sehr naiv war. Dass ich dann in Kolumbien gelandet bin, war aber reiner Zufall.

Blog-Team: Wie kam es dazu?

Theodor: Ich habe damals bei einer Kolumbianerin in Bonn einen Salsa-Kurs gemacht und die hat mir gesagt: „Wenn du mal in ein Schwellenland willst, dann geh doch nach Kolumbien“, und weil ich eben Spanisch sprach, bin ich dann auch tatsächlich nach Kolumbien gegangen.

Blog-Team: Wie war deine erste Reise in den Chocó?

Theodor:  Das war eine Lebensrealität, wie ich sie bis dahin noch nicht gekannt hatte. Was mich aber noch mehr beeindruckt hat, als diese mir völlig fremde Welt, war die Motivation und das Engagement der Leute, diesen Landstrich nach vorne zu bringen. Es gibt sogar ein Lied, wo dieser Wille besungen wird. Als ich zurückkam, dachte ich, wie es wäre, wenn wir den Menschen dort ein wenig dabei helfen könnten. Das war quasi die Geburtsstunde von CASA HOGAR.

Blog-Team: Hättest du jemals gedacht, dass CASA HOGAR einmal erfolgreich wird?

Theodor:  Ich dachte, ich schaue einfach mal, wie weit ich komme. Aber ich weiß noch genau, dass der Bischof damals zu mir sagte: „Wenn ihr hier ein Haus bauen könntet für junge Mädchen, die ohne Eltern aus den Dschungelregionen in die Stadt kommen, um zur Schule zu gehen, dann wäre das toll.“ Ich dachte, dafür werde ich sicher fünf bis sechs Jahre sammeln müssen, aber dann hatten wir tatsächlich in einigen Wochen schon viel Geld zusammen.

Blog-Team: Und das haben andere auch gedacht!

Theodor: Genau! Die Kraft, die dieser Hebel entwickelt hat, kommt davon, dass viele Freunde, Bekannte und andere eben mitgemacht und sich hinter dieses Anliegen gestellt haben.

Blog-Team: Gibt es auch Punkte, die Dich nachdenklich stimmen, wenn wir über Entwicklungsarbeit sprechen?

Theodor:  Wir haben mit dem Impetus angefangen, Menschen im Chocó zu helfen, Armen, Kranken, Unterdrückten, Gefährdeten – das sind insbesondere Frauen und Mädchen, Afrokolumbianerinnen wie Indigene, mit je eigenen Problemen. JETZT stellen wir fest, dass unsere Arbeit den einzelnen Mädchen zwar hilft, aber für die Gemeinschaft auch eine zweite Seite haben kann: Stichwort braindrain, Stichwort Entfremdung, Stichwort Anpassung und Konformisierung. Das haben wir aber auf dem Schirm und thematisieren das auch mit unseren Partnerinnen und Partnern. Ein Prozess, bei dem wir alle lernen. Am Ende ist es wahrscheinlich genauso falsch, Leute in unsere Vorstellung von Fortschritt und „richtiger“ Kultur hineinzupressen, wie es falsch wäre, dort nicht zu helfen, wo Hilfe wirklich gebraucht wird, nur aus Sorge um den Erhalt einer vermeintlichen „kulturellen Authentizität“ und einer „wilden Ursprünglichkeit“, die letztlich ja auch nur ein romantisches europäisches Konstrukt ist.

Blog-Team: Klingt, als würdest Du Dir viele Gedanken darüber machen?

Ja, das stimmt schon. Das habe ich einem Gründungsmitglied zu verdanken, die nun leider nicht mehr dabei ist. Ich war in dieser Hinsicht sehr naiv. Das hat sie gründlich geändert. Allerdings darf man dieses schwierige Thema auch nicht ideologisieren. John McWhorter, ein US-amerikanischer Linguist, hat kürzlich ein kontroverses Buch veröffentlicht: „Die Auserwählten“ („woke racism“ im Original). Einiges von dem, was er schreibt, überzeugt mich, anderes nicht: U.a. appelliert er an die Kraft der [indigenen] Gemeinschaft und sagt, dass diese es überhaupt nicht nötig hat darauf zu warten, dass offen rassistische weiße Menschen oder solche mit impliziten Vorurteilen, ihre Meinung über sie ändern, bzw. ihre impliziten Stereotypen vollständig reflektiert haben. So wichtig und wünschenswert das auch wäre, teilweise haben die identitätspolitischen Debatten unserer Zeit etwas Akademisches und, das erlebe ich auch als Arzt in meinem Alltag: Wenn man einmal neben einem Menschen steht, der wirklich arm dran ist, haben sich einige Fragen dazu, was zu tun ist, über die ganzen Bücher ohne Ergebnis geschrieben wurden, schon längst von alleine beantwortet. Da wünsche ich mir manchmal, wir wären mit unseren ganzen klugen Gedanken und Diskussionen schneller auf der Handlungsebene.