Frauenbildung
Der Alltag in Kolumbien, besonders in ländlichen Gegenden wie dem Chocó, ist von einem sehr traditionellen Gesellschaftsmodell mit patriarchalischer Grundhaltung und Machismo geprägt. Frauen werden hier weithin unmündig gehalten und strukturell benachteiligt. Sie sind in allen entscheidenden Fragen von ihren Ehemännern oder Vätern abhängig und werden für die gleiche Arbeit geringer entlohnt. Dabei bleibt es häufig gerade den Frauen überlassen, ganze Großfamilien zu versorgen, wenn sich die Väter, was durchaus gängige Praxis ist, abgesetzt haben oder sie, und auch dies geschieht mit erschütternder Häufigkeit, ermordet oder verschleppt werden.
Frauenbildung und der gezielten Stärkung der Rolle von Frauen wird beim Aufbrechen der patriarchalen Gesellschaftsstrukturen eine zentrale Bedeutung zukommen müssen. Die Vergangenheit hat vielerorts gezeigt, dass Frauen ihr Wissen produktiv nutzen, um ihre Situation zu verbessern. Sie geben dieses Wissen aber auch als Multiplikatorinnen weiter und können so auf lange Sicht eine nachhaltige und alle Gesellschaftsschichten durchdringende Veränderung anstoßen. Nicht umsonst besagt ein altes Sprichwort: „Bilde eine Frau und du bildest ein ganzes Volk.“
Entwicklungszusammenarbeit in zwei Richtungen
Bei CASA HOGAR geht es in erster Linie um die Menschen im Chocó in Kolumbien. Durch unsere Entwicklungszusammenarbeit sind wir aber natürlich auch selbst Akteure, die Zeit, Energie, Ideen, kurz: Teile unserer Leben und unserer Persönlichkeit investieren, um mit jeder unserer Aktionen eine positive Wirkung zu erzielen. Und indem wir auf die Menschen in unserer Umgebung zugehen und sie um Unterstützung und Spenden für CASA HOGAR bitten, wirken wir auch in Deutschland in die Öffentlichkeit hinein. Deshalb ist es für uns elementar, dass wir nicht nur klare Vorstellungen einer sinnvollen, also zugleich pragmatischen und ethisch vertretbaren Arbeitsweise mit unseren Partnern in Kolumbien und untereinander haben, sondern dass wir auch unsere Rolle als Akteur in Deutschland immer wieder hinterfragen und entsprechend handeln.
Ein wichtiges Handwerkszeug zu einem aufgeklärten Verständnis unserer Rolle sind dabei theoretische Überlegungen, die sich mit „white charity“ betiteln lassen.
White Charity
White Charity ist eine Strömung aus postkolonialen Theorien und der kritischen Weißseinsforschung („Critical Whiteness“). Critical Whiteness versucht die meist unsichtbaren Bewertungen und Konstruktionen und damit verbundene Privilegien von Weißsein bewusst zu machen. White Charity beschäftigt sich mit der Repräsentation der Länder des „globalen Südens“ (in unserem Fall Kolumbien) im öffentlichen Raum in denjenigen Ländern, die Hilfe generieren (also Deutschland).
Das sind zu einem großen Teil ganz grundsätzliche dekonstruktivistische Überlegungen:
Die Kategorien „Schwarz“ oder „People of Color“ gibt es nicht an und für sich, sondern nur in Abgrenzung zum „Weißsein“. Dieses wird aber nicht als solches benannt. Weiße sind sich ihrer Ethnizität oft nicht bewusst und definieren sich als „Menschen“, von denen sich die anderen durch ihre andere Hautfarbe unterscheiden. „Weiß“ ist die Norm, „nicht Weiß“ das Andere – ohne dass dies explizit gesagt würde, eben weil es so tief in unsere angestammten Sicht- und Denkweisen eingewoben ist. Und damit gehen die Probleme schon los, denn so urmenschlich und nachvollziehbar es ist, sich selbst (bewusst oder unbewusst) als die Norm aufzufassen, so schwierig ist es zugleich, wenn „das Normale“ nicht als „ein Normales unter vielen Normalen“ gedacht wird, sondern als „das Richtige“ gegenüber „dem Falschen“ — und das ist leider die Regel. Noch problematischer ist, wenn dem Anderen darüber hinaus noch negative Konnotationen angehängt werden, was ebenfalls beinahe zwangsläufig passiert. Dabei schließt dieser weiße europäische Ethnozentrismus an die Geschichte des Kolonialismus mit seinen verheerenden Folgen weltweit und seinen rassistischen Denkmustern an, die sich in versteckter oder offenerer Form bis heute partiell erhalten.